Leben Schreiben Atmen

Leben Schreiben Atmen

„Leben Schreiben Atmen“ als ich diesen Titel 2019 auf einer Konferenz das erste Mal hörte, habe ich mich innerlich einen Schritt entfernt. Nein. Und außerdem, noch ein Buch über das kreative Schreiben? Braucht es das wirklich? Ich habe es mir dann doch gekauft. Frau muss ja auf dem Laufenden bleibenden. Nachdem das Buch dann zwei Jahre in meinem Regal geduldig auf seinen Einsatz wartete, steht es jetzt endlich auf der Bühne. Was soll ich sagen? Ich bin begeistert. „Eine Einladung zum Schreiben“ verspricht der Untertitel. Doch es ist mehr. Es ist eine Schreibverführung und das Ticket für eine Reise in die eigene Vergangenheit. Eine Reise auf der wir wertschätzend und wohlwollend auf das gucken dürfen, was war. 

Schreiben und Selbstfürsorge

Was soll das mit dem Schreiben eigentlich? Ist das nicht anstrengend? Ja, manchmal ist es anstrengend und wenn wir in schmerzhafte Erinnerungen zurück reisen, kommt der Schmerz wieder und den wollten wir doch eigentlich vergessen. Aber wir vergessen ihn ja doch nicht. Immer wieder blitzen Bilder auf. In unser Vergangenheit haben wir gelernt auf eine bestimmte Weise mit Problemen umzugehen. Wenn wir also dorthin schauen, können wir verstehen, verarbeiten und vor allem können wir den Blick auf einen Nebenschauplatz lenken. Wie das gehen kann zeige ich euch in einem Beispiel.

Erinnerung

Ich war vielleicht sieben, als ich diesen wunderbaren geblümten Rock hatte. So gerne habe ich ihn getragen. Auch in die Schule wollte ich ihn anziehen. Ich spielte mit den anderen Kindern fangen. Wir tobten in der Sandkiste und auf dem Klettergerüst. Dann plötzlich war da dieses Lachen. Leon, ein Junge aus meiner Klasse, saß unter der Hängebrücke auf der ich war. Er lachte, weil er meine Unterhose sehen konnte. Ich schämte mich so sehr. Auch weil ich nicht wusste, dass das zum Auslachen ist. 

Diese Scham des kleinen Mädchen sitzt immer noch ganz tief. Aber heute weiß ich, dass Menschen andere beschämen, weil sie sich selber schämen. Jahrzehnte habe ich mich erinnert an den Jungen, der mich ausgelacht hat. Doch ich hatte vergessen, dass ich mit anderen gespielt habe, wie sehr ich diesen Rock liebte und was wir für ein tolles Klettergerüst wir hatten. Wenn ich an meine Grundschulzeit dachte, war da ein kleines Mädchen, mit dem niemand spielen wollte. Doch was ist, wenn das nicht stimmt? Was wenn ich mit den anderen fangen spielte und der kleine Junge durfte nicht mitspielen? Am Ende ist es heute völlig egal, wie es damals wirklich war. Doch heute stärken uns gute Erinnerungen. Wir dürfen also die Erinnerung auch umschreiben, wenn wir wollen.

Leben Schreiben Atmen

Der Titel, der mich einst so irritiert hat, ist so treffend und einfach wunderbar gewählt. Wir leben und erleben. Danach dürfen wir es aufschreiben und dann aufatmen oder eben atmen. „Leben Schreiben Atmen – Eine Einladung zum Schreiben“ ist ein Buch voller kleiner Geschichten über die Vergangenheit. Wir dürfen spüren, was uns dabei anspricht. Die Geschichten, die andere erzählen, wecken längst verschollene Erinnerungen in uns selbst. Doris Dörrie, die Autorin dieses Schatzes, gibt zahlreiche Schreibanregungen. Wer sich weiter absolut gegen das Schreiben weigert, darf die Schreibimpulse auch als Gesprächsanregung nehmen. Schreiben ist allerdings einfacher, denn wir sind dabei ganz bei uns.

Viel Spaß beim Lesen

Birte

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