„Birte, ich muss lernen, mit Stress umzugehen!“ Das ist ein Satz, der in letzter Zeit häufiger zu mir gekommen ist. Hinter dem Satz steht das Bedürfnis nach Schutz. Vielleicht geht es auch um Anerkennung und Zugehörigkeit. Es geht darum, wie wir in einer wahnsinnig schnellen Welt mithalten und gesund bleiben können. Also geht es um die emotionalen Grundbedürfnisse. In diesem Beitrag schreibe ich, wie wir Stress mit Würde begegnen und so leichter mit ihm umgehen können.
Was ist Stress
Stress ist eine körperliche Reaktion auf einen Reiz. Etwas in uns nimmt wahr, dass wir in Gefahr sind. Der Begriff geht auf Hans Selye zurück. Anfang des 20. Jahrhunderts habe er bei Patient:innen mit verschiedenen Erkrankungen dieselben Symptome bemerkt. Später habe er die Theorie des allgemeinen Anpassungssyndroms an Ratten erforscht und daraufhin drei verschiedene Stressstadien formuliert: Alarmphase, Widerstandsphase und Erschöpfungsstadium (Rusch 2019, S. 13 f.). Lazarus bezog dann in sein Stressmodell das Individuum mit dessen Ressourcen und Einschätzung der Situation ein (Rusch 2019, S. 14 f.; Hess 2018, S. 150 ff.).
Lebewesen reagieren auf Veränderungen in ihrer Umwelt. Stress ist eine Wechselreaktion zwischen Individuum und Umwelt (Paulsen & Kortsch 2020, S. 6). Das, was Stress auslöst, ist für Menschen sehr unterschiedlich. Es hängt damit zusammen, welche körperlichen und psychischen Ressourcen Menschen zur Verfügung haben.
Ich muss besser mit Stress umgehen können.
Wenn Menschen sich wünschen, besser mit Stress umgehen zu können, individualisieren sie ein gesellschaftliches Problem. Sie wollen nicht die Situation oder die Strukturen verändern, sie wollen sich selbst verändern, um besser in und mit diesen leben zu können. „ICH muss lernen mit Stress umzugehen.“ Wenn ich das lerne, wird alles gut. So wird es uns ja auch erzählt. Auf Social Media sehen wir ganz einfache Lösung und in Stellenausschreibungen lesen wir nach wie vor die Voraussetzung: belastbar sein.
Der Wunsch, besser mit Stress umgehen zu können, ist sinnvoll. Stress geht nicht weg. Er ist. In In einem YouTube-Video erklären Paulsen und Kortsch, dass er unser ständiger Begleiter ist. Wir füttern ihn mit Zeit- und Erfolgsdruck, Alltagsproblemen, Konflikten, Erwartungen und Informationen. In dem Video sehen wir es als kleines Monster, dass immer größer wird. Es ist also sinnvoll unser kleines Monster kennenzulernen und uns mit ihm zu versöhnen.
Stress mit Würde begegnen
Wie gut wir mit Stress umgehen können, hängt damit zusammen, was uns zur Verfügung steht. Das habe ich oben bereits erwähnt. Würde ist allerdings nicht nur individuell. Es liegt nicht nur bei uns dafür zu sorgen, dass wir in Würde leben. Christiane Lüschen-Heimer hat in einem Vortrag über Würde in Organisationen gesagt, dass es unser aller Aufgabe ist für Würde zu sorgen, dass ginge schon mit einem Lächeln.
Würde erleben wir, wenn unsere emotionalen Bedürfnisse erfüllt sind (Anerkennung, Schutz, Zugehörigkeit und Integrität). Anfangs habe ich geschrieben, dass der Wunsch besser mit Stress umgehen zu können, etwas mit Schutz zu tun hat.
Was steht vor dem Wunsch, besser mit Stress umgehen zu können?
Bei manschen Menschen ist es der Besuch beim Arzt, der sagt „Sie haben zu viel Stress.“ Anderen hat vielleicht die Vorgesetzte oder ein Kollege gesagt „Du kannst wohl nicht mit Stress umgehen.“ Es gibt viele Auslöser. Sie sind genauso individuell wie der Stress selber.
Die Suche nach einem besseren Umgang mit Stress, wenn wir dadurch krank sind, ist wie die Suche nach einem Schutzschild. Wenn uns Menschen sagen, dass wir nicht gut mit Stress umgehen können, können wir uns abgewertet fühlen. Sie sehen nicht, was wir tun. In dem Fall wünschen wir uns Anerkennung und denken, wenn wir nur besser mit Stress umgehen könnten, dann würden wir durch unsere Stärke auffallen und nicht durch unsere vermeintliche Schwäche. So geht es auch um Zugehörigkeit. Mit einem besseren Stressmanagement würden wir dazu gehören. Auch die Integrität ist wichtig, denn vermutlich entspricht es eher unseren Werten als belastbar gesehen zu werden.
Würde geht uns alle an.
Stress ist kein individuelles Problem. Wir leben in einer Welt in der wir nicht nicht gestresst sein dürfen – dann sind wir nicht produktiv genug – und gleichzeitig so gut mit Stress umgehen können müssen, dass er uns nicht beeinträchtigt. Das ist eine kaum bewältigbare Aufgabe. Vielleicht können wir dieser Aufgabe begegnen, indem wir, wie Christiane gesagt hat, alle für Würde sorgen. Wenn wir Kolleg:innen als gestresst wahrnehmen, könnten wir vielleicht fragen, was die Person heute auf dem Schreibtisch hat oder ob sie schon eine Person gemacht hat. Wenn wir einander würdevoll begegnen können wir dem Stress vielleicht gemeinsam leichter begegnen. Dabei geht es nicht darum, eine Lösung zu haben. Manchmal reicht es, der anderen Person mit einem Lächeln zu begegnen.
Stress zu spüren bedeutet nicht schwach zu sein.
Wir leben in einer sehr schnellen Welt. Mit dem Wandel in der Technologie wandeln sich auch viele Arbeitsplätze. Social Media ermöglicht uns Verbindung und miteinander in Kontakt zu sein. Gleichzeitig sind wir damit permanenten Vergleichen ausgesetzt. Das wir Stress erleben, ist keine Schwäche. Es ist normal. Wichtig ist, dass wir zwischendurch Ruhe erleben. Wir dürfen uns selber Erholung erlauben. Wie die für uns aussieht, ist verschieden.
Übrigens zu dem Thema Stressmanagement biete ich Vorträge für Organisationen an. Natürlich begleite ich Menschen auch 1:1 im systemischen Coaching zu dem Thema. Wenn du daran Interesse hast, schreib mir gerne.
Mehr dazu lesen
Hess, Ursula „Allgemeine Psychologie 2: Motivation und Emotion“ Kohlhammer (2018)
Lüschen-Heimer, Christiane „Würde in der Arbeitswelt: Über Scham und menschenwürdiges Arbeiten in Organisationen“ Springer (2024)
Paulsen, Hilko; Kortsch, Timo„Stressprävention in modernen Arbeitswelten: Das „Einfach weniger Stress“ Manual“ hogrefe (2020)
Rusch, Stephan „Stressmanagement: Ein Arbeitsbuch für die Aus-, Fort- und Weiterbildung“ Springer, 2. Auflage (2019)
Über die emotionalen Grundbedürfnisse habe ich auch in dem Blogbeitrag „Selbstfürsorge lernen – emotionale Grundbedürfnisse“ geschrieben.